epd Media No. 36/2016 on “Uneasy Rider” – 10/07/2016

 

epd Medien 36/2016

Der coolste Typ

Von Renate Stinn

Dennis Hopper, seit sechs Jahren tot, ist für seine vielen Freunde und Kollegen
noch unglaublich lebendig. Wenn sie von ihm erzählen, ist da immer noch ein
Strahlen, ein Bewundern, ein Staunen, sehr viel Nähe und Vertrautheit und
Freude, vor allem Freude. Es war toll mit ihm zu arbeiten: verrückt,
anstrengend, aufregend, voller Überraschungen, auch unliebsamen, verbunden mit
Alkohol und Drogen. Seine Besessenheit bei der Arbeit und vor allem die von ihm
unbedingt angestrebte totale Identifikation mit der jeweiligen Figur. Das kann
einen Schauspieler zerreißen. Fragt er sich doch, wenn die Figur steht, der
Film abgedreht und das Licht aus ist, wer er selbst ist. Hat sich selbst
verloren und muss sich neu erfinden. Immer neu, immer anders, immer weiter.
Das ist der zentrale Gedanke im Film von Hermann Vaske. Ein Film voller Tempo,
es wechseln die Schauplätze, die Interviewpartner, Landschaften, Szenen, nichts
ist chronologisch und doch ist alles in sich wunderbar strukturiert, ohne
Kommentartext. Immer sind die Interviewten unauffällig absichtsvoll ins Bild
gesetzt, was auch viel über sie selbst erzählt: Diane Kruger, lässig drapiert
vor sehr hellem Hintergrund, raffiniert einfach gekleidet, perfektes Make-up,
eine Kindfrau, sehr sympathisch.

Oder Wim Wenders, der steht wie ein Stock in grellbuntem Hemd, miesepetriges
unbewegtes Gesicht, erzählt präzise, analytisch, von den Höhen und Tiefen der
Arbeit mit Dennis Hopper. Wie Bruno Ganz am zweiten Drehtag zu “Der
Amerikanische Freund” Hopper eine reinhaute und der blitzartig zurückschlug.
Ganz, textsicher, kam nicht zurecht mit Hoppers Restalkohol und dessen
Textimprovisation. Beide verließen wutentbrannt das Set, kamen am nächsten Tag
Arm in Arm und sturzbetrunken zurück. Die Extreme näherten sich an.
Satya Della Manitou war Hoppers Assistent, sie kannte ihn 45 Jahre. Ihn zeigt
Vaske mit Khaki-Klamotten, häufig in einem Jeep, wie er lange durch weite
fruchtbare Landschaften fährt.

Es reden über Dennis Hopper, ganz uneitel, ohne sich selbst in Szene zu setzen:
Frank Gehry, Julian Schnabel, Michael Madsen, Kris Kristofferson, Anton Corbijn,
Dave Stewart, Paul McCarthy, Harry Dean Stanton, Alex Cox, Joe Pytka, Isabella
Rossellini, Isabel Coixet. Sie charakterisieren ihn: Landei aus Kansas,
Außenseiter, Rebell, Radikaler, Narr, Individualist, brillant, zugedröhnt,
intensiv, gefährlich, charmant, als Alki ein Zombie, nüchtern sanft und
liebenswert, gab immer hundert Prozent!

Dennis Hopper, 1936 geboren in Dodge City, Kansas, bekommt wenig
Anerkennung, wenig Schulbildung, wird von Warner Brothers unter Vertrag
genommen, dreht mit James Dean “Denn sie wissen nicht was sie tun”. Er hält
Dean für den besten Schauspieler der Welt, dann, nach dessen Tod, nimmt er
diesen Platz ein, meint er. Er fliegt mit 21 Jahren aus dem Vertrag, kommt auf die
schwarze Liste, dreht 1969 “Easy Rider” – der Durchbruch. Verstört und begeistert
viele Leute mit “The Last Movie” (1971). Alex Cox findet den Schnitt brillant,
Wenders sagt grämlich, der Film sei kaputtgeschnitten. 1979 folgt “Apocalypse
Now” von Coppola. Beim Dreh verschwand Hopper für zehn Tage, tauchte im
Dschungel ab. Als er 2003 “Der Pianist” mit Diane Kruger drehte, fiel ihm
plötzlich ein, seinen Text an eine Ziege zu adressieren, irre und genial – wurde
gekauft.

Filme, Filme, Filme. Rückzug nach Taos, Texas, in eine Künstlerkolonie.
Abschied von Alkohol und Drogen, 23 Jahre trocken. Hopper experimentiert. Er
inszeniert, fotografiert, macht Performances, sprengt sich in Texas in die Luft,
macht Werbespots und auch Musik. Einmal sitzt er auf einem geblümten Sofa vor
Bergen in einer Landschaft, spuckt diverse Farben auf eine Leinwand am Boden,
hebt sie hoch und fragt: Ist das Kunst? Hält einen modellierten Hundehaufen
hoch: auch Kunst?

Vaske zeigt Auszüge aus Interviews mit Hopper aus Cannes, aus Berlin. Und
immer wieder das Gesicht von Dennis Hopper, älter, mit grauem Kinn- und
Oberlippenbart, angeschnitten, Halbprofil, wie er einen sehr schönen Text
spricht: “Da gibt es kein Messen mit der Zeit, da gilt kein Jahr und zehn Jahre
sind nichts …” Es geht um Geduld, um unendliche Geduld. Hoppers Text? Eines
Dichters Text? Dazu gibt es leider keine Angaben.

In “Palermo Shooting” von Wenders spielt er 2008 den Tod: Wenige Monate später
kommt die Diagnose Krebs. Vaske zeigt ihn abgemagert, eine Hand verbunden,
Pflaster auf der Stirn, neben Jack Nicholson, sie lachen, machen Witze: Muss man
erst Krebs haben, um einen Stern zu kriegen auf dem Walk of Fame? “Krieg ich
nie.” Dann kriegt er ihn doch, wenige Wochen vor seinem Tod. Und der Laudator
sagt: “Dennis Hopper ist der coolste Typ auf dem Planeten.”

Da hat ein großartiges Team ideal miteinander gearbeitet und einen Film
geschaffen, der ein guter Kandidat für einen Grimme-Preis ist. Carsten Piefke
hat den Film geschnitten, intelligent und sehr fix. Die Kamera von Patricia
Lewandowska und Sasha Rendulic setzt Ruhepunkte: Landschaften, ferne Berge.
Und immer wieder Filmausschnitte. Am Ende singt Kris Kristofferson für Dennis
Hopper ein Lied: “Er hatte eine Zukunft voller Geld, Liebe und Träume, die er
ausgab, als wäre sie aus der Mode gekommen …”

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